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Funktionen und Fertigkeiten des Lesens

Lesen gilt als universelles Kulturwerkzeug, „dessen Bedeutung auch in einer sich verändernden Medienlandschaft nicht geringer geworden ist. Vielmehr stellt sich immer wieder heraus, dass lesen zu können eine notwendige Voraussetzung bzw. Schlüsselqualifikation für den kompetenten und selbstbestimmten Gebrauch aller Medien darstellt.“ 1Artelt, C. (2007). Bildungsforschung Band 17. Förderung von Lesekompetenz – Expertise. Bonn, Berlin S. 5.

Graphik zu der Bedeutung und den Funktionen des Lesens

Bedeutung und Funktionen des Lesens

Lesen ermöglicht Kindern das Eintauchen in Erfahrungswelten und ist eine wichtige Voraussetzung für die Teilhabe an unserer Gesellschaft.

Das Erlernen von Schriftsprache ist immer an einen sozialen Kontext geknüpft. Dabei spielen das häusliche Umfeld, die Schule und die eigenen Peers eine entscheidende Rolle. Nur wer über eine ausreichende Lesekompetenz verfügt, kann sich in der Welt der Schrift und Sprache selbstständig und selbstbewusst bewegen. 2Rosebrock, Cornelia & Nix, Daniel (2020). Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseförderung. 9. Aktual. Auflage. Baltmannsweile: Schneider-Verlag Hohengehren.

Lesen erfüllt aber nicht nur eine teilhabende Funktion auf individueller, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene. Daher sollte Kindern von Beginn an eine leseanregende Umgebung geboten werden. Zahlreiche Studien belegen, dass die Basis für ein positives Leseselbstkonzept junger Leserinnen und Leser und einer intrinsischen, also aus der Person heraus entstehenden Lesemotivation, in der Lesesozialisation begründet liegen. Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich bezüglich der häuslichen Lesesozialisation in Deutschland sehr. Dadurch ergibt sich eine wichtige Aufgabe für Schulen. Sie werden zum Ort der institutionellen Lesesozialisation, um dieses Ungleichgewicht auszugleichen. Eltern, Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte agieren hierbei als Lesevorbilder und wichtige Ressource, die die Bedeutung und die Funktionen des Lesens für alle Kinder und Jugendliche transparent machen. 3Valtin, R. (2017]. Einordnung der IGLU-2016-Befunde in das europäische Rahmenkonzept für gute Leseförderung – In: Hußmann, A., Wendt, H., Bos, W., Bremerich-Vos, A., Kasper, D., Lankes, E.-M., McElvany, N.,Stubbe, T.  C. & Valtin, R.: IGLU 2016. Lesekompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich. Münster ; New York : Waxmann, S.317 ff.

Welche Erkenntnisse lassen sich aus den IQB-Bildungstrends 2021 ziehen?

Ein hoher sozioökonomischer Status geht häufig mit einer höheren Lesekompetenz bei Schülerinnen und Schülern einher. Die sozialen Unterschiede steigen seit 2016 kontinuierlich an.
Mit Blick auf die verschiedene Diversitäten zeichnet sich ab, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund häufig ein niedrigeres Kompetenzniveau im Bereich des Lesens aufweisen als ihre gleichaltrigen Mitschülerinnen und Mitschüler ohne Migrationshintergrund. Allerdings lassen sich auch bei Kindern ohne Migrationshintergrund Kompetenzrückgänge feststellen. 4Stanat, P., Schipolowski, S., Schneider, R., Sachse, K. A., Weirich, S. & Henschel S. (2022). IQB-Bildungstrend 2021 Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe: Erste Ergebnisse nach über einem Jahr Schulbetrieb unter Pandemiebedingungen. Waxmann, S.13
Der Kompetenzrückgang entspricht 2021 im Vergleich zu der Studie aus dem Jahr 2016 dem Drittel eines Schuljahres. Somit lässt sich eine Fortführung des negativen Trends im Bereich Lesen in deutschen Grundschulen seit 2011 erkennen. Außerdem steigt der Anteil an Schülerinnen und Schülern der 4. Jahrgangsstufe, die nicht den Mindeststandard im Kompetenzbereich Lesen erwerben und erreicht 2021 eine Prozentzahl von 18,8.
Bildungstrend 2021- Mindeststandard im Kompetenzbereich Lesen (In Anlehnung an Stanat, Schipolowski, Schneider, Sachse, Weirich & Henschel, 2022)
Bildungstrend 2021- Mindeststandard im Kompetenzbereich Lesen (In Anlehnung an Stanat, Schipolowski, Schneider, Sachse, Weirich & Henschel, 2022)
Weiterlesen: IQB-Bildungstrend 2021

Wie läuft der Leseerwerb ab?

Die Lesekompetenz umfasst den Erwerb einzelner Fertigkeiten. Der Erwerb ist sehr komplex und umfasst viele einzelne Schritte. Die meisten kognitionstheoretischen und didaktischen Modelle beschreiben den Leseerwerb als Prozess mit einzelnen Teilleistungen.

  • Der Leseerwerb beginnt nicht erst mit dem Schuleintritt. Der Wortschatz von Kindern wird im Kleinkindalter durch early-literacyEarly-literacy
    Aus dem Englischen: literacy = Die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können und mit geschriebener..

     Erfahrungen angeregt und gefördert.
  • Im Leseunterricht wird anfangs das laute Lesen, also das laute Entziffern von Buchstaben ( Grapheme
    ) und Wörtern mit den Schülerinnen und Schülern geübt. Buchstaben werden mit ihrem dazugehörigen Klang kennengerlernt und als Wörter zusammengefügt. Schülerinnen und Schüler müssen ihre Worterkennung automatisieren Automatisierung
    Automatisierung der Wort- und Satzerkennung: Es wird nicht mehr Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort..

    . Diesen Automatisierungsvorgang erlernen viele Kinder im Alter von etwa 9 Jahren.
  • Sobald die Kinder ihre Worterkennung automatisiert haben, beginnt die sogenannte Viellesephase.
  • Bekannte Wörter werden nun sicher erkannt oder die Kinder korrigieren sich gegebenenfalls selbst. Der Wortschatz wird somit Schritt für Schritt ausgebaut.

5Rosebrock, C., & Nix, D. (2020). Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseförderung (9. Aufl.). Grundlagen der Lesedidaktik: / Cornelia Rosebrock; Daniel Nix ; 1. Baltmannsweiler: Schneider-Verl. HohengehrenS.9 ff.

Welche Lesekompetenzmodell sind zentral für die Leseförderung ?

Lesen wird in kognitionstheoretischen Lesekompetenzmodellen Situationsmodell nach Kintsch
Das Textverstehen wird aufgrund der Hinzunahme des individuellen Vorwissens entwickelt. Das Verstehen eines Textes läuft..

, die als Grundlage für die PISA-Studien gelten, als rein kognitiver Prozess verstanden. Lesen bedeutet, den Sinn eines Textes zu verstehen oder Informationen aus einem Text herausziehen zu können.  6Hurrelmann, B. (2002). Leseleistung – Lesekompetenz. In: Praxis Deutsch. 176, Friedrich Verlag, Seelze, S.8

Dabei wenden die Schülerinnen und Schüler Fertigkeiten auf drei Ebenen an:

Auf der Wortebene sollte das Entziffern von einzelnen Buchstaben ( DekodierenDekodieren
Die Wahrnehmung und Unterscheidung von einzelnen Buchstaben bis hin zum gelesenen Wort. Bezeichnet in der..
) und das Erlesen von ganzen Wörtern ( Rekodieren ) geübt werden.

Kinder müssen lernen, einzelne Wörter zu ganzen Sätzen zusammenzufügen. Dabei stellen sie die lokale KohärenzLokale Kohärenz
Herstellung eines Sinnzusammenhangs einzelner Sätze.
her – sie verstehen also denn Sinn eines Satzes bzw. mehrerer Sätze hintereinander.

Schlussendlich sollten Kinder ganze Texte sinnentnehmend lesen können. Dabei knüpfen sie an ihr Vorwissen an. Sie bilden sich eine Meinung zum Text und reflektieren das Gelesene. Diese Fähigkeit bezeichnet man auch als Erstellung von Globaler Kohärenz Globale Kohärenz
Textverstehen: Der gesamte Text wird inhaltlich erfasst und der Inhalt kann wiedergegeben werden. Dies geschieht..
.
Schülerinnen und Schüler müssen demnach beim Lesen zunächst das Gelesene verstehen und dann eine Transferleistung vollziehen, indem Sie das Gelesene mit Vorwissen verknüpfen und interpretieren.

Lesekompetenz wird dieser Ansicht nach in drei Teilfähigkeiten und Kompetenzen eingeteilt:

  1. Informationen ermitteln
  2. Texte interpretieren
  3. Gelesenes reflektieren und bewerten

7Hurrelmann, B. (2002). Leseleistung – Lesekompetenz. In Praxis Deutsch. 176, Seelze

Aktuelle Erkenntnisse

Interaktive Leseformate fördern die Lesekompetenz von sozioökonomisch benachteiligten Kindern. 8Thomas, N., Colin, C. & Leybaert, J. (2020). Interactive Reading to Improve Language Emergent Literacy Skills of Preschool children from Low Socioeconomic and Language-Minority Backgrounds. In Early Childhood Education Journal, 48, 549-560.

Quellen

  • 1
    Artelt, C. (2007). Bildungsforschung Band 17. Förderung von Lesekompetenz – Expertise. Bonn, Berlin S. 5.
  • 2
    Rosebrock, Cornelia & Nix, Daniel (2020). Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseförderung. 9. Aktual. Auflage. Baltmannsweile: Schneider-Verlag Hohengehren.
  • 3
    Valtin, R. (2017]. Einordnung der IGLU-2016-Befunde in das europäische Rahmenkonzept für gute Leseförderung – In: Hußmann, A., Wendt, H., Bos, W., Bremerich-Vos, A., Kasper, D., Lankes, E.-M., McElvany, N.,Stubbe, T.  C. & Valtin, R.: IGLU 2016. Lesekompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich. Münster ; New York : Waxmann, S.317 ff.
  • 4
    Stanat, P., Schipolowski, S., Schneider, R., Sachse, K. A., Weirich, S. & Henschel S. (2022). IQB-Bildungstrend 2021 Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe: Erste Ergebnisse nach über einem Jahr Schulbetrieb unter Pandemiebedingungen. Waxmann, S.13
  • 5
    Rosebrock, C., & Nix, D. (2020). Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseförderung (9. Aufl.). Grundlagen der Lesedidaktik: / Cornelia Rosebrock; Daniel Nix ; 1. Baltmannsweiler: Schneider-Verl. HohengehrenS.9 ff.
  • 6
    Hurrelmann, B. (2002). Leseleistung – Lesekompetenz. In: Praxis Deutsch. 176, Friedrich Verlag, Seelze, S.8
  • 7
    Hurrelmann, B. (2002). Leseleistung – Lesekompetenz. In Praxis Deutsch. 176, Seelze
  • 8
    Thomas, N., Colin, C. & Leybaert, J. (2020). Interactive Reading to Improve Language Emergent Literacy Skills of Preschool children from Low Socioeconomic and Language-Minority Backgrounds. In Early Childhood Education Journal, 48, 549-560.

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