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Was ist Lesekompetenz?

Die Lesekompetenz wird aus verschiedenen Forschungsperspektiven sehr umfassend beschrieben. Zunächst umfasst die Lesekompetenz einen komplexe kognitiven Teilprozessen 1Richter, T., & Christmann, U. (2002). Lesekompetenz: Prozessebenen und individuelle Unterschiede (S. 25–58).. Die Lesekompetenz beinhaltet viele persönliche Aspekte wie Emotionen, die individuelle Motivation oder auch den sozialen Austausch. Auch die literarische Bildung steht beim Lesen im Fokus. Lesen ist also noch mehr als Buchstaben, Silben und Wörter zu entziffern. 2Garbe, C. (2022). Lesekompetenz – Lesesozialisation – Leseförderung. In U. Abraham & T. Becker (Hrsg.), Basiswissen Lehrerbildung: Deutsch unterrichten (1. Auflage, S. 106–124). Klett Kallmeyer. 3Hurrelmann, B. (2002). Leseleistung—Lesekompetenz. Praxis Deutsch, 176, 6–18. 4Philipp, M. (2011). Lesesozialisation in Kindheit und Jugend: Lesemotivation, Leseverhalten und Lesekompetenz in Familie, Schule und Peer-Beziehungen, Lehren und Lernen. Kohlhammer.

Das weit verbreitete Modell von Rosebrock & Nix (2020) vereint diese Aspekte der Lesekompetenz. Das Mehrebenenmodell beschreibt dabei kognitive, subjektiv-persönliche und soziale Faktoren auf drei verschiedenen Ebenen: Prozessebene, Subjektebene und soziale Ebene. Die Ebenen sind eng miteinander verknüpft und beeinflussen sich gegenseitig. 5Rosebrock, Cornelia & Nix, Daniel (2020). Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseförderung. 9. Aktual. Auflage. Baltmannsweile: Schneider-Verlag Hohengehren.

Das Mehrebenenmodell nach Rosebrock & Nix (2020) (mit freundlicher Genehmigung des Schneider Verlags Hohengehren).
Das Mehrebenenmodell nach Rosebrock & Nix (2020) (mit freundlicher Genehmigung des Schneider Verlags Hohengehren).

Die Prozessebene – Kognitive Prozesse des Textverstehens

Lesen ist eine enorme kognitive Konstruktionsleistung des Gehirns, die von emotional-motivationalen Aspekten beeinflusst wird. Die Prozessebene des obigen Modells bezieht sich deshalb zunächst auf das Verständnis davon, wie sich die einzelnen Teilkomponenten des Leseprozesses wechselseitig beeinflussen.

Um einen Text verstehend lesen zu können, müssen Kinder verschiedene kognitive Prozesse bewältigen. Das LeseverstehenLeseverstehen
Leseverstehen ist die Fähigkeit, einzelne Wörter, Sätze und Texte flüssig zu lesen und den Inhalt..

und das flüssige Lesen Leseflüssigkeit
Bezeichnet in der Leseforschung die Fähigkeit, einen altersangemessenen Text genau, automatisiert, angemessen schnell und mit..

sind eng miteinander verknüpft. Kinder müssen flüssig lesen können, um verstehend zu lesen. Im Leseprozess wird Bedeutung generiert und damit Leseverstehen ermöglicht, d.h., der Text wird verarbeitet und dadurch verstanden.

Zu den hierarchieniedrigen Prozessen zählen:

  • RekodierenRekodieren
    Rekodieren bezeichnet die Umwandlung von einer visuellen orthographischen Struktur in Lautsprache. Oftmals führt diese Rekodierung..
    auf Buchstaben und Silbenebene (Lesegenauigkeit): Buchstaben erkennen und Lauten bzw. Lautfolgen zuordnen ( Graphem-Phonem-KorrespondenzGraphem-Phonem-Korrespondenz
    In der Linguistik ist dies der Zusammenhang zwischen bedeutungsunterscheidenden Schrift- und Sprachzeichen; genauer: welchem Graphem..
    )
  • Laute zu Wörtern „zusammenschleifen“ ( PhonemsynthesePhonemsynthese
    Als Phonemsynthese wird die koartikulatorische Verschmelzung von Einzellauten zu einem vollständigen Wort bezeichnet. Hierbei müssen..
    )
  • die Bedeutung von Wörtern kennen und mental abgespeichert haben (Wortschatz)
  • Automatisierung der Worterkennung und des Dekodierens
  • eine angemessene Lesegeschwindigkeit
  • sinnentnehmendes Lesen auf Satzebene ( lokale Kohärenz )
  • die Fähigkeit, sinngemäße Betonungen ( ProsodieProsodie
    Die Prosodie beschreibt Ausdrucksmerkmale von Sprache. Als prosodische Eigenschaften gelten alle Merkmale oberhalb der Phonemebene,..
    ) auf Wort- und Satzebene einzusetzen.

Zu den hierarchiehohen Prozessen zählen:

  • einen logischen Zusammenhang zwischen Textteilen und über den gesamten Text hinaus herstellen
  • globale Kohärenz , also ein Gesamtverständnis für den Text herstellen, und Inferenzen (Schlussfolgerungen) bilden sowie
  • die erfolgreiche Anwendung von Lesestrategien
  • Superstrukturen eines Textes erfassen: Um welche Art von Text handelt es sich? Welche strukturellen Merkmale hat der Text? Wie ist er insgesamt aufgebaut? Die Superstrukturen existieren unabhängig vom Inhalt – es erfordert also eine ausgeprägte Lesekompetenz, diese erfassen zu können.
  • Darstellungsstrategien des Textes verstehen: Welches Ziel wird mit dem Text verfolgt? An wen richtet sich der Text? Warum wurde der Text verfasst? Kann ich die typische Schreibweise einer Autorin bzw. eines Autors wiedererkennen?

Die Subjektebene – Das persönliche Leseselbstkonzept

Die Subjektebene beschreibt, welche Motivation und welche Emotionen Leserinnen und Leser in den Prozess des Lesens einbringen und wie sie diesen reflektieren. Wichtig ist, welches Vor- und Weltwissen sie mitbringen. Die Reflexion der eigenen Meinung zum Inhalt des Textes ist besonders zentral. Jede lesende Person bildet ein LeseselbstkonzeptLeseselbstkonzept
Das lesebezogene Selbstkonzept sagt aus, wie Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Fähigkeiten in Bezug auf..

aus, das von individuellen Einstellungen und Gefühlen geprägt ist und die Lesemotivation
beeinflusst.

Die soziale Ebene – Anschlusskommunikation und Lesesozialisation

Ob Kinder Lesefreude sowie ein Interesse an Büchern, Literatur und digitalen Textformen entwickeln, hängt zu einem großen Teil auch von ihrem sozialen Umfeld ab. Die Lesesozialisationsforschung zeigt, dass Personen aus dem individuellen Umfeld starke Einflussfaktoren für junge Leserinnen und Leser sind. 2Garbe, C. (2022). Lesekompetenz – Lesesozialisation – Leseförderung. In U. Abraham & T. Becker (Hrsg.), Basiswissen Lehrerbildung: Deutsch unterrichten (1. Auflage, S. 106–124). Klett Kallmeyer.

Lesesozialisation bezeichnet den Prozess, durch den Menschen in ihrer Entwicklung zu (regelmäßig) Lesenden heranwachsen. Sie beginnt in der Regel im frühen Kindesalter und erstreckt sich über die gesamte Lebensspanne. Lesesozialisation beinhaltet verschiedene Faktoren wie familiäre Einflüsse, Bildungseinrichtungen, soziale Umgebung, persönliche und kulturelle Kontexte.

Welche Rolle spielt die literarische Bildung beim Lesenlernen?

Ein wichtiger Teil der Lesekompetenz ist die Entwicklung von literarischen Kompetenzen. Schülerinnen und Schüler sollen lernen, Strukturen und Merkmale von Textsorten zu erkennen. Gleichzeitig gehört die Meinungsbildung zu Texten und die Reflexion über Gelesenes im Sinne der Anschlusskommunikation zum Lesen dazu.

Die Absichten und Ziele von Autorinnen und Autoren nachvollziehen zu können, sich in die Personen einer Geschichte einfühlen zu können und mit eigenen Erlebnissen oder Erfahrungen zu verknüpfen, ist ebenfalls von zentraler Bedeutung.

Die Begegnung mit Literatur kann ein wichtiger Bestandteil der Identitätsbildung für Kinder und Jugendliche sein. Gleichzeit geht es beim Lesen von literarischen Texten auch um den reinen ‚ästhetischen Genuss‘.

Literarische Bildung fokussiert immer auch soziale, kulturelle und individuelle Aspekte 7Kepser, M., & Abraham, U. (2016). Literaturdidaktik Deutsch: Eine Einführung (GL/340/169(4), GL/340/169(4)a, GL/340/169(4)b-d; 4., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Bd. 42). Erich Schmidt Verlag. Eine vielfältige Literaturdidaktik kann Kindern Bücher und das Lesen nahebringen. Das individuelle Leseselbstkonzept wird so erweitert und gestärkt.

Welche Funktionen und Fertigkeiten umfasst das Lesen? – Zusammenfassung

Die Bedeutung und die Funktionen des Lesens (In Anlehnung an: Rosebrock & Nix, 2020; Paleczek & Seifert, 2020; Ehm, 2018; © Leibniz Universität Hannover, 2022)
Die Bedeutung und die Funktionen des Lesens (In Anlehnung an: Rosebrock & Nix, 2020; Paleczek & Seifert, 2020; Ehm, 2018; © Leibniz Universität Hannover, 2022)

Downloads

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Factsheet: Förderung der Leseteilfähigkeiten

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Factsheet: Situationsmodell des Leseverstehens

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Factsheet: Didaktische Verfahren der Leseförderung

Quellen

  • 1
    Richter, T., & Christmann, U. (2002). Lesekompetenz: Prozessebenen und individuelle Unterschiede (S. 25–58).
  • 2
    Garbe, C. (2022). Lesekompetenz – Lesesozialisation – Leseförderung. In U. Abraham & T. Becker (Hrsg.), Basiswissen Lehrerbildung: Deutsch unterrichten (1. Auflage, S. 106–124). Klett Kallmeyer.
  • 3
    Hurrelmann, B. (2002). Leseleistung—Lesekompetenz. Praxis Deutsch, 176, 6–18.
  • 4
    Philipp, M. (2011). Lesesozialisation in Kindheit und Jugend: Lesemotivation, Leseverhalten und Lesekompetenz in Familie, Schule und Peer-Beziehungen, Lehren und Lernen. Kohlhammer.
  • 5
    Rosebrock, Cornelia & Nix, Daniel (2020). Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseförderung. 9. Aktual. Auflage. Baltmannsweile: Schneider-Verlag Hohengehren.
  • 6
    Garbe, C. (2022). Lesekompetenz – Lesesozialisation – Leseförderung. In U. Abraham & T. Becker (Hrsg.), Basiswissen Lehrerbildung: Deutsch unterrichten (1. Auflage, S. 106–124). Klett Kallmeyer.
  • 7
    Kepser, M., & Abraham, U. (2016). Literaturdidaktik Deutsch: Eine Einführung (GL/340/169(4), GL/340/169(4)a, GL/340/169(4)b-d; 4., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Bd. 42). Erich Schmidt Verlag.

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